Veedelshelden Müllem! – Ein Gespräch mit der Kölschen Linda

Kölsche Linda – “Ich finde es wichtig, anderen Mut zu machen!”

Lindas Leben lässt sich nicht in drei Sätzen nacherzählen. Es ist ein hartes Leben, gespickt mit Schicksalsschlägen – vom Jobverlust bis zur Obdachlosigkeit. Sie war alleine und am Boden. Doch die Mülheimerin mit italienischen Wurzeln steht wieder auf. Sie ist die Kölsche Linda, die nun anderen helfen will. VEEDELSHELDEN MÜLLEM! fragt nach. Linda gibt Antwort als waschechte Berberin. Ihr ständiger Begleiter: Hund Clayd.

 

VEEDELSHELDEN MÜLLEM!: Linda, erzähl’ uns, was Dich nach Müllem verschlagen hat!

KÖLSCHE LINDA: Ich bin hier geboren, im alten Dreikönigen-Krankenhaus, das es heute nicht mehr gibt. Meine Oma ist nach dem Krieg in Dünnwald in eines der ersten Häuser eingezogen, die damals neu aufgebaut wurden und seither ist unsere Familie rechtsrheinisch fest verankert.

Klar, ich bin ne kölsche Mädchen. Aber wenn mich einer fragt, wo kommste her? „Müllem! Wat sonst?“

Mein Vater war übrigens Italiener, manchmal kommt das bei mir raus. Im Temperament. Aber auch dat Kölsche Kraat, das ist genau meine Mentalität, bin einfach ein gemischtes Power Paket!

VM: Ist unser Veedel Müllem das auch?

KL: Abwechslungsreich ist Müllem auf jeden Fall. Die unterschiedlichen Menschen, die sich hier angesiedelt haben, das ist doch klasse! Und dann die Nähe zum Rhein, Schiffchen angucken, Spazieren, herrlich! Am Hafen, da kann man noch erkennen, dass Müllem mal ein richtig wichtiger Standort in Köln war! Schade ist, dass die ganzen kleinen mittelständischen Betriebe kaputt oder weg gehen und stattdessen Spielhallen und Kulturcafés aufmachen. Kleine Betriebe machen doch ein Viertel aus. Auch das Miteinander der einzelnen Gruppen fehlt, man kann doch von anderen so viel lernen. Aber es entstehen zu wenig soziale Projekte, es gibt viel zu wenig Miteinander.

VM: Du sprichst nicht ohne Grund soziale Projekte an, was bewegt Dich dabei so?

KL: Ich habe selber viel erlebt, war erst Fleischerei-Fachverkäuferin, Haushaltshilfe und später in der Schulreinigung als städtische Angestellte bei der Gemeinde Elsdorf fest angestellt. Klingt erst mal ganz normal, aber ich musste meine Tochter ernähren und wurde zum Workaholic. Ich habe soviel gearbeitet bis mein Körper irgendwann nicht mehr funktioniert hat. Und meine Seele auch nicht mehr. Zwei Jobs, alleinerziehende Mutter, meine Tochter ist lange krank gewesen. Und dann kamen meine Krankheiten, zum Beispiel eine schwere Lungenentzündung, mit der ich über ein Jahr gelegen habe. Darüber habe ich schließlich meinen Job verloren. Was folgte, war eine Psychose, mit Burn-Out kombiniert, und keine Kraft mehr, mich um Hilfe zu kümmern.

 Irgendwann ging’s nicht mehr, da war Schicht im Schacht.

2005 bin ich dann obdachlos geworden.

VM: Das heißt, du warst komplett auf Dich alleine gestellt …

KL: Ja, völlig. Für mich war es das erste Mal, ohne zu wissen, wohin. Dann war ich damals auch noch außerhalb von Köln, in Bergheim. Es gab da gar nichts, nirgendwo eine Anlaufstelle, nirgends wo man ‘ne Auskunft kriegt. Ich habe die ersten Monate in Hauseingängen übernachtet und mich rumgetrieben. Irgendwann kam ich auf die Idee „geh mal wieder nach Köln“ und bin auf dem Dünnwalder Friedhof gelandet, weil dort das Grab meiner Großmutter ist. Dort habe ich ein Jahr gelebt, mich auch gewaschen. Und ich war hochpsychotisch. Allerdings hatte ich im Nachhinein einen hellen Moment, als ich auf den Friedhof gegangen bin. Da musste ich zwar die Einsamkeit in Kauf nehmen, aber mir ist dadurch vieles erspart geblieben, was sonst in der Stadt so abgeht. Nicht nur von Obdachlosen, auch von ganz normalen Menschen wirst du beklaut, oder beschimpft. Wirst weggejagt, teils mit körperlichen Attacken.

Man ist Freiwild. Ein Rechtloser in diesem Lande.

VM: Wie ging es von dort aus für Dich weiter?

KL: Im Endeffekt nicht ohne Hilfe. 2006 brachten mich Anwohner des Friedhofs ins Café Auszeit, einer Anlaufstelle für Frauen, vom Sozialdienst Katholischer Frauen in Köln. Ich hatte damals auch schon Notschlafstellen ausprobiert, aber, wenn Du da nicht mitmachst, biste ganz schnell wieder weg. Die Mitarbeiterinnen des Café Auszeit haben sich sehr für mich engagiert und von dort ging es Stück für Stück ganz langsam wieder bergauf. Das erste Mal in ein Zimmer gezogen bin ich Ende 2007. In eine Obdachlosen-WG für psychisch kranke Menschen.

VM: Seit einiger Zeit lebst Du wieder in Müllem mit Deinem ständigen Begleiter, Hund Clayd. Was bleibt von Deiner Zeit als Obdachlose?

KL: Im Grunde lebe ich weiterhin das Leben einer Obdachlosen. Ich muss raus, ich muss unterwegs sein, ich brauche den Kontakt zu den anderen. Ich muss meine Freiheit haben, denn als Obdachloser bist Du auch niemandem Rechenschaft schuldig, keiner bestimmt über Dich. Ich sag es mal so, die Bedeutungskriterien verändern sich, wenn man obdachlos war und alles mitgemacht hat.

Wer einmal für eine Zeit lang unter freiem Himmel geschlafen hat, möchte sich nicht mehr unter Beton einsperren lassen.

Klar habe ich jetzt wieder eine Wohnung. Aber ich brauche wegen meiner Gesundheit eine Wohnung im Erdgeschoss. Und den Zugang nach draußen, sonst ersticke ich! Wer nimmt Dich schon mit dem Hintergrund. Und dann noch der Hund. Aber ohne Clayd kann ich nicht sein. Ich habe ja sonst keine Familie mehr, außer meiner Tochter. Wenn ich keine passende Wohnung finde, ziehe ich im Frühjahr bei „Bauen, Wohnen, Arbeiten“ von Rolf Bünger in Ossendorf in einen Bauwagen. Im Grunde nutze ich meine Wohnung nur zum Schlafen und Duschen – so ein Wohnwagen würde es auch tun. Ich bin den ganzen Tag unterwegs, organisiere Sachen und treffe meine Leute.

VM: Wie versuchst Du Dich zu engagieren?

KL: Nach wie vor bin ich Klientin und Besucherin des Café Auszeit und das seit sieben Jahren schon. Ich hole mir heute noch Tipps und Ratschläge von den Mitarbeiterinnen. Die Frauen die dort sind, kommen mittlerweile mit ihren Fragen direkt zu mir. Das überrascht mich, aber so ist es. Natürlich hat sich schnell herumgesprochen:

„Linda lässt keinen hängen.“

2012 habe ich über das Projekt EX-IN eine Ausbildung zur Genesungsbegleiterin begonnen und 2013 erfolgreich abgeschlossen. Sogar mit Abschlusszertifikat. Ich habe mich wirklich im letzten Jahr gewandelt, besonders mit meiner Abschlussprüfung. Ich hätte nie gedacht, dass ich das schaffe. Mein Traum wäre es, gemeinsam mit der Stadt Köln eine Art Vertrag hinzukriegen, einen neuen Job zu kreieren: „Genesungsbegleitende Obdachlosenhelferin“. Das wäre meins!

VM: Wirst Du Deine Projekte in Zukunft hier in Müllem stattfinden lassen?

KL: Das wäre ein Traum, gerade um auch mal rechtsrheinisch auf die Not der Wohnungslosen Frauen aufmerksam zu machen! Wohnungslose Frauen sind ganz anders betroffen als wohnungslose Männer! Sie werden nachts überfallen, vergewaltigt oder unter Drogen gesetzt. Es gibt einfach nicht genügend Platz in den Notschlafstellen. Ich bin ja schon integriert in die Obdachlosenseelsorge Gubbio, die ist aber auf der anderen Rheinseite. Ich möchte gerade in Müllem mit meinen Projekten andocken, vielleicht eine Obdachlosenstation nur für Frauen eröffnen. Eines meiner wichtigsten Ziele ist, endlich eine Selbsthilfegruppe für Obdachlose zu organisieren. Müllem braucht noch mehr Aufmerksamkeit um sich wandeln zu können und darf nicht nur Brennpunkt sein! Da ist privates Engagement nötig!

VM: In Köln kennt man Dich auch als KÖLSCHE LINDA, wie kam es zu diesem Namen?

KL: Über meine Arbeit beim Strassenmagazin Draussenseiter. Dort schreibe ich und ich verkaufe den Draussenseiter auch. Es ist ein soziales Projekt für, von und über Menschen auf der Strasse. Für viele Verkäufer kann das eine wichtige tagesstrukturierende Maßnahme sein, diesen Verkauf machen zu können. Das Café Jakubowski auf der Mülheimer Freiheit kauft zum Beispiel auch ab und an eine Zeitung von mir. Ich bin übrigens, und ich müsste mich da schon sehr irren, die einzige Frau, die gleichzeitig schreibt und verkauft. Und ja, was soll ich sagen – mein Leben war immer schon das eines Draussenseiters, ich kenne die Szene gut. Ich finde es wichtig, um anderen in solchen Situationen Mut zu machen, nicht aufzugeben. Um zu zeigen, es ist möglich – gebt nicht auf!

So wie ich, ich bin ne Kämpfer, seit Dezember 50 Jahre alt und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl „jetzt fange ich erst an“!

VM: Danke Linda für das Interview!

 

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